Frühjahrshäcks*

Wie schwierig es sein kann, die unterschiedlichsten Garten- und Weltauffassungen auf einer sehr begrenzten Fläche unterzubringen, davon erzählt mein Roman „Garten, Baby!“ Die Bewohner des Mietshauses in der fiktiven Drübkestraße, zu dem der Garten gehört, könnten gegensätzlicher kaum sein. Wie ein Blick auf ihre Garten-Häcks fürs kommende Frühjahr zeigt …

Doros Häck

Doro, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, ist Anfang Dreißig. Die Übersetzerin von Schwedenkrimis lebt mit ihrem Freund Rob im Dachgeschoss, und verlässt die Drübkestraße selten; sie findet genügend Glück und Drama in ihrem kleinen Biotop. Nur in den Zucchini-Wochen, wenn explosionsartig alle Zucchini auf einmal  erntereif werden, würde sie gern woanders wohnen. Zucchini-Frittata, Zucchini-Suppe, Zucchini-Relish, Zucchini-Kuchen. Doros Frühjahrs-Häck, um die Ernte- und Verarbeitungskrise an der Wurzel zu packen – Zucchini nie hinterm Haus pflanzen, immer gut sichtbar nach vorn raus zur Straße hin. Mit etwas Glück wachsen ihnen dann Beine. Bei den Feigen von dem Bäumchen neben der Haustür funktioniert das jedenfalls gut. Doro weiß genau, wer in der Nachbarschaft sich gern an den süßen Früchten bedient. Kleiner Krimi.

Robs Häck

Rob, Doros Freund, ist Architekt, zum Gärtnern bleibt ihm nicht viel Zeit. Aber im Frühjahr verbindet er seinen Faible für Konstruktives mit den Vorbereitungen fürs Gartenjahr: Er faltet Anzuchttöpfchen aus Klopapierrollen. Rolle halbieren, unten viermal einschneiden, die Laschen nach innen klappen – fertig.

Freds Häck

Fred, 45, Ex-GI aus Texas und Initiatior des Garten-Projekts, mag es pragmatisch. Er hat den Garten nicht, weil „Urban-Gardening“ hip ist; Doros und Robs bio/vegan Experimente belächelt er im Stillen bei einer Cola aus der Dose. Nur jetzt im Frühjahr trinkt er Cola aus Flaschen, weil sie aufgeschnitten ausgezeichnete Minigewächshäuser für empfindliche Setzlinge abgeben. Nur bitte nicht „Upcycling“ dazu sagen. Bei ideologischem Gärtnern sieht der sonst so gelassene Fred gern mal rot.

Lore Dittrichs’ Häck

Lore Dittrich, 82, Hausdrache und Diva der Drübkestraße 13. Ihr ist das Gemüse im Vorgarten ein steter Dorn im Auge. Sie toleriert den unsinnigen Wasserverbrauch fürs Tomatengießen nur, weil der Garten Freds Projekt ist und sie glaubt, die Frau seines Lebens zu sein. Lore glaubt auch an die Überlegenheit von Kunststoff über die Natur. Auf ihrem Sideboard befindet sich eine Kollektion verschiedener Perücken auf ihrem Balkon liegt Rollrasen. Absolut pflegeleicht, kein Gießen, kein Mähen. Menschen mit freier Hand und ohne lästiges Kollektiv im Rücken empfiehlt sie beim Gärtnern, die gesamte Fläche damit auszulegen; ansonsten findet sie getrimmten Buchsbaum und gepflegten Kies auch schön.

Sibels und Zeus’ Häcks

Für Sibel und Zeus, beide Anfang 30, Softwareentwickler, und On-and-off-Paar, ist Hacken was, das man am Rechner macht. Sie gehören zwar formal zum Gartenprojekt, gießen aber nicht mehr als zweimal pro Saison, und nur, weil die anderen sie sonst „nordeuropäisch passiv-aggressiv“ anfeinden, wenn sie zum Grillen und Chillen runterkommen. Im Hinterhof arbeitet Sibel am liebsten an der Teppichstange, ihr Gartengerät Nr. 1. Sibels Häck zur Tank-Top-Saison:  täglich 100 Pull-ups. Zeus arbeitet derzeit an einer Virtual-Reality-Version des Gartens mit Datenbrille. Dann erledigt sich auch das Hacken. Häcken. Was auch immer.

Merles Häck

Merle, 26, alleinerziehende Mutter von Arnold, hat keine Zeit zum Gärtnern – und keinen Mann, der ihr den Müll oder im Januar den Weihnachtsbaum herunter trägt. Merles Häck: aus der Not eine Tugend machen, die Tanne zur Begrünung des Balkons einfach stehen lassen.  Nach dem Fest ist vor dem Fest. Denn wenn es eins gibt, was man vom Garten lernt, dann dass auf den Winter der Frühling folgt, auf den Frühling der Sommer, auf den Sommer der Herbst und auf den Herbst der Winter und dann wieder von vorn an. Neue Runde, alter Baum (über das Nadeln macht Merle sich nächsten Monat erst Gedanken.)

* die Gartenhäcks sind Teil eines Beitrags, der auf resonanzboden.com, dem Blog der Ullstein Buchverlage, erschienen ist.

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